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Rufus Wainwright: Folkocracy (Review)

Artist:

Rufus Wainwright

Rufus Wainwright: Folkocracy
Album:

Folkocracy

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Folk, Folkpop, Singer-Songwriter

Label: BMG
Spieldauer: 61:02
Erschienen: 02.06.2023
Website: [Link]

"Noch weiter zurück in mein Leben und zu den Wurzeln - dahin, wo alles begann" wollte RUFUS WAINWRIGHT nach dem endlich wieder mit guten eigenen Songs glänzenden Album "Unfollow The Rules" (2020). Das drei Jahre später vorliegende Ergebnis dieser Rückbesinnung heißt "Folkocracy", und es gehört, obwohl weitgehend ohne eigene Kompositionen des kanadisch-amerikanischen Singer-Songwriters daherkommend, zu den den besten Werken seiner 25-jährigen Karriere. Zugleich markiert dieses wunderbare Folk-Cover-Album einen Schlusspunkt und einen Neustart, wie Wainwright in einem "Rolling Stone"-Interview außerdem erzählte: "Und jetzt bin ich fertig. Ich bin bereit, weiterzumachen, nach vorn zu schauen." 

Man darf also gespannt sein, was nach dem Ende Juli anstehenden 50. Geburtstag von RUFUS WAINWRIGHT so kommt - und insgeheim hoffen, dass er uns Pop-Simpels nicht wieder allzu lange Richtung Hochkultur verlässt. Denn das Abdriften des Artpop-Helden in die Musical-, Klassik- und Opern-Ecke hatte viele ganz schön genervt, und man fragte sich als Fan seiner Meisterwerke "Want One"/"Want Two" (2003/2004), "Release The Stars" (2007) oder "Out Of The Game" (2012), ob Wainwright es überhaupt noch drauf hat: ein echtes Pop-Album aufnehmen, das einzig und allein über Songs, Mitspielende, Arrangements/Produktion begeistert - und nicht über ein womöglich leicht versnobtes "Konzept".

Wenn ein versierter Songschreiber wie RUFUS WAINWRIGHT nun mit Folk-Stücken aus fremden Federn (bis auf das eigene "Going To A Town", hier in einer superben neuen Version mit Anohni) die willkommene Rückkehr zur Höchstform schafft, überrascht das zunächst. Denn zwar entstammt der 1973 bei New York geborene Musiker einer kurzzeitigen Beziehung der renommierten Folkies Kate McGarrigle und Loudon Wainwright III, doch sein eigenes Werk hatte damit bisher eher wenig zu tun, dafür sehr viel mit opulentem Barock-Pop und queeren Bombast-Balladen. 

Gleichwohl hat RUFUS WAINWRIGHT nun alte Folk-Stücke von Evan MacColl („Alone“) und Peggy Seeger („Heading For Home“)  sowie uralte Traditionals („Shenandoah“, „Cotton Eyed Joe“, „Arthur McBride“) ausgewählt.

Hinzu kommen Lieder, die er teilweise zusammen mit seinen Gästen (dazu später mehr) erst zu Folk-Songs im weiteren Sinne macht: „Twelve-Thirty (Young Girls Are Coming To Town)“, im Original von The Mamas & The Papas, „Nacht und Träume“ von Franz Schubert (hier kommt der Verehrer deutscher Romantik durch), "High On A Rocky Ledge" von Moondog, oder „Black Gold“ von seinem langjährigen Gönner Van Dyke Parks.

In den unbedingt lesenswerten Liner-Notes offenbart RUFUS WAINWRIGHT die tiefe Liebe zu seinem Folk-Erbe und zu den 15 Liedern. "Ich wollte keine offensichtliche Folk-Platte machen, denn ich war noch nie ein offensichtlicher Folk-Künstler", sagt er im "RS"-Gespräch (Juni-Ausgabe). "Und ich habe das Gefühl, dass ich, wenn überhaupt, versuche, Parallelen zwischen unterschiedlichen Musiken zu zeigen." So sei auch Franz Schubert (1797-1828) "unglaublich von der Volksmusik beeinflusst" gewesen. Dass "Folkocracy" schon bei der Songauswahl enorm abwechslungsreich wurde, hatte mit Wainwrights breitem Geschmack und wohl auch einer gewissen Sprunghaftigkeit zu tun: "Ich liebe Folk-Platten, aber ich persönlich möchte auf einem meiner Alben nach drei oder vier Songs eine andere Richtung hören. Das ist einfach mein Stil."

Viele prominente Gäste haben RUFUS WAINWRIGHT für sein Cover-Projekt die Ehre erwiesen – die Liste liest sich wie ein "Who is Who" des guten Geschmacks. Manche Namen (Neo-Soul-Sänger John Legend, Pop-Sängerin und Tänzerin Nicole Scherzinger von den Pussycat Dolls, Funk-Ikone Chaka Khan) tauchen hier recht unerwartet auf. Aber alles ergibt Sinn unter der Regie des Gastgebers ("Dieses Album ist fast wie eine auf Platte gebannte Geburtstagsparty") und der Produzenten Mitchell Froom/David Boucher.

Über das Duett "Cotton Eyed Joe" mit Chaka Khan etwa sagt Wainwright: "Zugegebenermaßen lag auch eine gewisse Aufregung in der Luft, als sie dann ins Studio kam. Schließlich ist sie eine Funk-Sängerin, die nicht besonders viel Erfahrung mit Balladen hat. Aber natürlich hat sie richtig abgeliefert. Zusammen mit Chaka zu singen zählt ganz klar zu den Highlights meiner Karriere. Chaka & Rufus sind zurück!" (Der Hintergrund: Chaka Khan & Rufus, so hieß die Black-Music-Band der damals sehr jungen Sängerin in den 70er Jahren.)

"Richtig abgeliefert" hat selbstverständlich auch RUFUS WAINWRIGHT, der seine markante, manchmal zum Schrillen oder Meckernden neigende Stimme auf "Folkocracy" so sensibel einsetzt wie selten zuvor. Er singt nicht so raumgreifend wie auf früheren Platten, fast minimalistisch, weniger selbstverliebt, mit einer sympathisch zurückhaltenden Art, um den Gästen an seiner Seite genug Raum zu bieten für ihren eigenen künstlerischen Ausdruck. Immer nach dem (bei Wainwright eher ungewohnten) Motto: Weniger ist mehr.

So darf die hochtalentierte Folkpop-Sängerin und tolle Gitarristin Madison Cunningham, voriges Jahr mit dem Album "Revealer" zum Indie-Star aufgestiegen, im Opener "Alone" mitmachen, und sie tut dies brillant neben einem beseelten RUFUS WAINWRIGHT. Es folgen als Begleiter unter anderem Susanna Hoffs (The Bangles), Sheryl Crow und Chris Stills, Alternative-Country-As Brandi Carlile, Andrew Bird (in einer fabelhaften Version von Neil Youngs "Harvest") und David Byrne. Am schönsten wird es, wenn die Großfamilie Wainwright/McGarrigle/Roche zusammen musiziert – berührendere Fassungen von "Hush Little Baby" und "Wild Mountain Thyme" als die hier angebotenen werden sich kaum finden lassen.

FAZIT: Nach diversen Ausflügen von RUFUS WAINWRIGHT in die Hochkultur bis hin zur E-Musik (Oper! Shakespeare-Sonette!) hatten manche Fans ihren queeren Artpop-Helden schon abgeschrieben. Verfrüht, wie er nun zu seinem 50. Geburtstag mit einem grandiosen Cover-Album beweist. „Folkocracy“ ist, von welcher Seite man auch draufschaut, ein künstlerischer Triumph. Feine Song-Auswahl, formidable Gästeliste - und unser Rufus macht sich für dieses Endpunkt- und Aufbruch-Werk etwas kleiner, um dadurch noch größer zu werden.

Werner Herpell (Info) (Review 1919x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
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Tracklist:
  • Alone (feat. Madison Cunningham)
  • Heading For Home (feat. John Legend)
  • Twelve-Thirty (Young Girls Are Coming To The Canyon) (feat. Susanna Hoffs, Chris Stills, Sheryl Crow)
  • Down In The Willow Garden (feat. Brandi Carlile)
  • Shenandoah
  • Nacht und Träume
  • Harvest (feat. Andrew Bird, Chris Stills)
  • Going To A Town (feat. Anohni)
  • High On A Rocky Ledge (feat. David Byrne)
  • Kaulana Ná Pua (feat. Nicole Scherzinger)
  • Hush Little Baby (feat. Martha Wainwright, Lucy Wainwright Roche)
  • Black Gold (feat. Van Dyke Parks)
  • Cotton Eyed Joe (feat. Chaka Khan)
  • Arthur McBride
  • Wild Mountain Thyme (feat. Anna McGarrigle, Lily Lanken, Martha Wainwright, Chaim Tannenbaum, Lucy Wainwright Roche)

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